Süß und wütend, leise und laut – Interview mit Ian Fisher

© Ulrich Zinell

„Half Americana and half Abbey Road-worthy pop“ – Diese Beschreibung des Rolling Stone könnte die Dichotomie von Ian Fisher sehr gut zusammenfassen. Sein Umzug von den USA nach Europa bedeutete nicht, dass er sich von den amerikanischen Einflüssen lossagte, sondern eher, dass er das Gute und das Schlechte von beiden Seiten sah und anerkannte. Warum Europa dennoch der Ort für ihn ist, wie ihn sein Umzug beeinflusst hat und was ihr in seinem brandneuen Fanklub erwarten könnt, erfahrt ihr unten:

1. Welche Inhalte wirst du in deinem Fanklub posten?

Man bekommt Zugriff auf meine exklusiven monatlichen Fanklub-EPs und unveröffentlichte Tracks von kommenden Projekten. Die ersten Monate beginnen mit einer Reihe alter Country-Cover-Songs, die ich zusammen mit meinen Freunden und Bandkollegen Ryan Thomas Carpenter & Richard Case aufgenommen habe. Mitglieder werden auch die Ersten sein, die neue, offizielle Veröffentlichungen hören und auch gelegentlich Überraschungen erleben. Wer zum Beispiel in der ersten Woche dabei ist, wird zu einem kostenlosen Songwriting-Kurs eingeladen, den ich am 5. März in Wien gebe!

2. Was erwartest du dir vom Fanklub?

Ich hoffe, einen Raum zu schaffen, in dem ich die Musik veröffentlichen kann, die ich sonst nirgendwo veröffentlichen könnte. Außerdem, möchte ich mit Freunden und Fans zwischen den Konzerten, bei denen wir uns zuvor getroffen haben oder wieder treffen werden, in Kontakt bleiben.

3. Was hat dich dazu bewogen, einen Fanklub zu gründen?

Ich fühlte mich zum Fanklub hingezogen, weil er lokal in Wien und Hamburg betrieben wird und ich die Menschen dahinter persönlich kenne. Ich benutzte Patreon für die letzten paar Jahre und es fühlte sich genauso unnahbar an wie andere Seiten, von denen ich abhängig und doch entfremdet bin, wie Facebook, Instagram und Spotify. Ich mag es zu wissen, wer hinter der Plattform steht, genauso wie Fans wissen wollen, wer ein Künstler wirklich ist. Genau das macht Fanklub möglich.

4. Hypothetisch, dem Fanklub welchen Künstlers, welcher Künstlerin würdest du beitreten, wenn sie einen hätten? Warum?

Es wäre schön, Gillian Welch zu unterstützen, einfach aus Dankbarkeit dafür, dass sie mein Leben mit ihrer Musik grundlegend verändert hat und mir die Gabe der Countrymusik zurückgegeben hat. Es wäre auch großartig, Anais Mitchell und Bonnie «Prince» Billy zu unterstützen. Ich bewundere ihre Produktivität und scheinbar unendliche Kreativität. Solche Gewässer sollten nicht mit der Notwendigkeit verschmutzt werden, sich irgendeiner Art von Markt zu unterwerfen.

5. Erzähle uns eine interessante Tatsache über dich, die die meisten Menschen nicht wissen.

Meine erste Kindheitserinnerung machte ich im Südosten Floridas auf einem Pier in der Nähe des Strandes, wo ich geboren wurde. Es war bei Abenddämmerung nach einem Sturm, der Himmel verfärbte sich rosa, und wir beobachteten, wie ein Space Shuttle weit oben an der Küste startete. Diese dünne Wolke baute sich über und über in den Himmel, bis sie verschwand. Mit dem Kopf nach hinten geneigt, kam der Wind und blies meinen Lieblingshut mit Mickey Mouse auf der Vorderseite und ich rannte danach, als er von mir wegflog, vorbei am Geländer in die Wellen. Meine Mom hat mich erwischt, kurz bevor ich gesprungen bin.

6. Warum hast du dich entschieden, nach Europa zu ziehen? Was ist das Beste an Wien und was vermisst du am meisten an den USA?

Die kurze Antwort lautet Kapitalismus und den Stadtstrukturen. Ich ziehe es vor, auf einem Kontinent mit Ländern zu leben, deren Sozialsysteme ihren Bürgern helfen, ein erfüllteres Leben zu führen, und nicht in einem Land, in dem die Hauptaufgabe der Regierung darin besteht, noch mehr Profit aus den Menschen zu holen. Ich ziehe es auch vor, in Städten zu leben, die für Menschen mit menschlichem Körper und nicht für ein Auto gemacht sind. Amerika ist eine Nation auf vier Rädern. In einer Kiste leben, zu einer Kiste fahren, in einer Kiste arbeiten und wieder zurück. Ich lebe zwischen Wien, Deutschland und den USA. Jeder hat seine eigenen Vor- und Nachteile.

In Wien, obwohl staubig und dunkel, ist man wie eine Biene im Bienenstock. Ein organisches Stück, das in einem organischen Ganzen brummt. Deutschlands Skepsis gegenüber Nationalismus und Möchtegern-Demagogen ist essentiell und könnte es zur letzten Hoffnung der Demokratie machen. Gleichzeitig schränken seine Hartnäckigkeit und Vorhersehbarkeit den Staat ein. Selbst am Rande des Zusammenbruchs haben die USA immer noch Amerikaner. Wir/die kuriosen Kreaturen, die die Europäer widersprüchlich zugleich bewundern und aufgrund ihres unternehmerischen Optimismus auf uns herabblicken, werden oft (und manchmal zu Recht) mit Naivität verwechselt. Da gibt es Hoffnungsschimmer, die ich in Europa noch nicht gesehen habe.

7. Wie hat sich dein Umzug auf deine Musik ausgewirkt?

Mit viereinhalbtausend Meilen zwischen uns konnte ich auswählen, was mir an der kulturellen Identität gefiel, in die ich hineingeboren wurde. Dabei fand ich Countrymusik, eine Kunstform, die ich vernachlässigt hatte, weil ich als Teenager dachte, es sei irgendein republikanischer Bullshit. Aber ich fand sie wieder und trug sie wie ein Abzeichen, als ich sie in meinem Kopf von dieser Konnotation befreien konnte. Der Großteil meiner Musik ist aber nicht wirklich Country. Viele Europäer glauben das zwar, aber sie wissen nicht, was Country wirklich ist.

Der Kampf und der Wettbewerb in Amerika können jemanden zu einem besseren Künstler machen. Doch in Ländern zu leben, in denen man auf Tournee keine zehn Stunden von einem Veranstaltungsort zum nächsten fahren muss, wo viele Veranstaltungsorte staatlich subventioniert werden und nur mäßig faire Löhne für Künstler ohne große Fangemeinde zahlen; wo Musiker eine bezahlbare Gesundheitsversorgung haben und nicht zwei oder drei Nebenjobs arbeiten müssen, um die Arztrechnungen zu bezahlen, macht so viel freier. Lebendiger.

8. Nenne einen Song, der dich immer in gute Laune versetzt.

Ich habe nie wirklich gute Laune.

9. Wenn du nur einen Song aus deiner gesamten Diskografie auswählen müsstest, um bei jedem Konzert live zu spielen, welcher wäre das und warum?

„Nero“ – diesen Song habe ich in den letzten 14 Jahren bei fast jedem Konzert gespielt. Er ist leise und laut. Süß und wütend. Er gibt von allem ein bisschen, jeder kann sich damit identifizieren, und ich kann an etwas glauben, wenn ich diesen Song singe. Und ich liebe es, ihn zu singen. Es ist wie mein nostalgisches, zerstörerisches Klagelied - eine Art Katharsis, die mein Publikum und ich immer brauchen werden.